BSG verpflichtet Einrichtungen der Behindertenhilfe zu nahezu unbegrenzten Leistungen

Am heutigen Donnerstag hat das BSG im „Sitzwachenfall“ aus Nordrhein-Westfalen entschieden (B 8 SO 8/13 R). Für Einrichtungen der Behindertenhilfe ist das Urteil schockierend: Einerseits haben die Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe Anspruch auf eine zusätzliche Sitzwache. Andererseits haben sie keinen Anspruch darauf, dass das Sozialamt die Kosten für die Sitzwache übernimmt. Vielmehr muss die Einrichtung die Sitzwache aus dem regulären Heimentgelt finanzieren. Das BSG erwähnt im Terminsbericht zwar den Heimvertrag, also den Vertrag zwischen Klient und Einrichtung nach dem WBVG. Dieser Vertrag ist aber unerheblich, denn Regelungen im WBVG-Vertrag, die von der Leistungsvereinbarung nach § 76 SGB XII, die zwischen der Einrichtung und dem Sozialhilfeträger besteht, abweichen, sind gemäß § 15 Abs. 2 WBVG unwirksam. Es kommt also allein auf die Leistungsvereinbarung zwischen Einrichtung und Sozialhilfeträger an. Diese Leistungsvereinbarungen sind in der Regel sehr allgemein gehalten. Der Sozialhilfesenat des BSG hat nun entschieden, dass aus einer solchen Leistungsvereinbarung zB auch eine nächtliche Sitzwache geschuldet sein kann – also eine Zusatzleistung, deren Notwendigkeit zum Zeitpunkt Abschlusses der Leistungsvereinbarung nicht vorhergesehen werden konnte.

Für Leistungserbringer – also die Einrichtung der Behindertenhilfe – bedeutet das ein Risiko, das vor allem für kleinere Einrichtungen ein Insolvenzrisiko ist. Es ist demnach möglich, dass eine Einrichtung für einen Bewohner, für den ein Entgelt von weniger als 4.000 € monatlich gezahlt wird, zusätzliche Leistungen im Wert des doppelten Betrages erbringen muss, ohne dass der Sozialhilfeträger dafür eine zusätzliche Vergütung schuldet. Das kann auch dann gelten, wenn der zusätzliche Bedarf erst nach der Heimaufnahme entsteht. In einem solchen Fall dürfte auch die Kündigung des Heimplatzes in der Regel ausgeschlossen sein, weil ein zulässiger Kündigungsgrund nicht vorliegt (§ 12 WBVG).

Leistungserbringer können sich vor diesem Risiko kaum schützen. Die einzige Möglichkeit der Vorsorge bestünde darin, mit dem Sozialhilfeträger möglichst eng gefasste Leistungsvereinbarungen (§ 76 Abs. 1 SGB XII) zu schließen. Das wird aber in der Praxis kaum zu realisieren sein – wenn die Sozialhilfeträger das aktuelle Urteil nicht ihrerseits zum Anlass nehmen, die Leistungsvereinbarungspraxis gründlich zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Da die Sozialhilfeträger von der Entscheidung profitieren, ist hier allenfalls verhaltener Optimismus angezeigt. [Terminsbericht BSG]

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