Anpassung der Vergütungsvereinbarung wegen der Corona-Pandemie

Die Coronapandemie stellt Leistungserbringer vor sehr unterschiedliche Herausforderungen. Dabei stehen zunächst die fachlichen Probleme im Vordergrund. Doch auch die wirtschaftlichen Herausforderungen müssen bewältigt werden. Auf der Kostenseite kann es zu erheblichen Steigerungen kommen. Auf der Einnahmenseite kann es zu erheblichen Einbußen kommen. Der Gesetzgeber hat mit dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) Regelungen geschaffen, die Leistungserbringern helfen können. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ergänzende Hinweise zum SodEG veröffentlicht.

Bevor jedoch diese Regelungen greifen, sollten Leistungserbringer zunächst prüfen, welche Ansprüche sie bereits nach bestehendem Recht haben. Die leistungsvereinbarungsrechtlichen Vorschriften des Rechts der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), der Sozialhilfe (SGB XII), der Eingliederungshilfe (2. Teil SGB IX) und der Pflegeversicherung (SGB XI) sehen alle vor, dass im Fall unvorhersehbarer Änderungen eine Anpassung der Vergütung verlangt werden kann. Die Coronakrise ist ohne Zweifel eine Situation, die nicht vorhersehbar war und die einen Anspruch auf Anpassung der Vergütung nach sich ziehen kann.

Die Anpassung der Vergütung dürfte im Verhältnis zu den besonderen Leistungen nach dem SodEG vorrangig sein. Sie ist darüber hinaus in der Regel die bessere Lösung für die Leistungserbringer. Denn die Anpassung der Vergütung soll die durch die unvorhergesehene Situation hervorgerufenen Kosten oder Ausfälle grundsätzlich vollständig kompensieren.

Zivilrechtlich sind unvorhergesehene oder unvorhersehbare Situationen in diesem Sinne Störungen der Geschäftsgrundlage, die einen Anspruch auf Anpassung eines zivilrechtlichen Vertrages an veränderte Bedingungen begründen können (§ 313 BGB). Auf dieser Grundlage kann ein Leistungserbringer auch gegenüber den leistungsberechtigten Personen einen Anspruch auf Anpassung der Vergütung haben.

Veränderungen auf der Kostenseite können z.B. durch die Notwendigkeit von Schutzmasken und -kleidung, durch außergewöhnlichen Personalausfall wegen Krankheit oder Quarantäne oder durch deutlich erhöhten Aufwand im Zusammenhang mit erforderlichen Änderungen der Betriebsabläufe verursacht werden. Auf der Einnahmenseite kann es zu erheblichen Ausfällen kommen, wenn Leistungen vorübergehend nicht erbracht werden können, z.B. weil eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung schließen muss. Eine durch die Coronakrise verursachte Erhöhung der Kosten führt zu einem Anspruch auf eine den besonderen Kosten entsprechende Erhöhung der Vergütung. Verluste auf der Einnahmenseite sollten in der Regel durch eine entsprechende Anpassung der Auslastungsquoten, der der Kalkulation der Vergütung zugrunde liegen, kompensiert werden.

Zu den Leistungsbereichen im Einzelnen:

Eingliederungshilfe

In der Eingliederungshilfe ergibt sich der Anspruch auf Anpassung der Vergütung aus § 127 Abs. 3 SGB IX. Voraussetzung sind hier „unvorhergesehene wesentliche Änderungen der Annahmen, die der Vergütungsvereinbarung […] zugrunde lagen“.

Pflegeversicherung

Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Anpassung der Vergütungsvereinbarung mit der Pflegeversicherung ist § 85 Abs. 7 SGB XI. Voraussetzung sind hier „unvorhersehbare wesentliche Veränderungen der Annahmen, die der Vereinbarung oder Festsetzung der Pflegesätze zugrunde lagen“. § 85 Abs. 7 SGB XI gilt zunächst nur für stationäre Einrichtungen. Wegen des Verweises in § 89 Abs. 3 S. 4 SGB XI gilt die Vorschrift aber auch für ambulante Pflegedienste.

Sozialhilfe

Im SGB XII findet sich die Rechtsgrundlage für den Anpassungsanspruch nach der Reform durch das Bundesteilhabegesetz in § 77a Abs. 3 SGB XII. Wie in der Eingliederungshilfe ist die Voraussetzung hier eine „unvorhergesehene wesentliche Änderung der Annahmen, die der Vergütungsvereinbarung […] zugrunde lagen“.

Kinder- und Jugendhilfe

In der Kinder- und Jugendhilfe ist zwischen ambulanten Leistungen auf der einen und teilstationären oder stationären Leistungen im Sinne von § 78a SGB VIII auf der anderen Seite zu unterscheiden. Für die letztgenannten Leistungen gilt § 78d Abs. 3 SGB VIII. Voraussetzung sind „unvorhersehbare wesentliche Veränderungen der Annahmen, die der Entgeltvereinbarung zugrunde lagen“.

Für die Vereinbarung von ambulanten Leistungen zwischen Jugendamt und Leistungserbringer enthält das SGB VIII nur sehr rudimentäre Regelungen, die sich im Wesentlichen auf § 77 SGB VIII beschränken. Im Ergebnis besteht hier jedoch erst recht ein Anspruch auf Anpassung der Vergütung.

Verfahren

Wenn Leistungserbringer auf der Kosten- oder der Einnahmenseite ernsthaft von der Coronakrise betroffen sind, sind sie gut beraten, wenn sie den Anspruch auf Anpassung der Vergütung schnell schriftlich gegenüber ihrem Leistungsvereinbarungspartner geltend machen – auch dann, wenn sie die Anpassungsforderung noch nicht abschließend beziffern können. Denn die Frage, ob im Ausnahmefall der Störung der Geschäftsgrundlage eine rückwirkende Änderung der Vergütungsvereinbarung (oder nur ein nachträglicher Ausgleich, der nur für die Zeit nach der Geltendmachung wirkt) zulässig ist, ist nicht abschließend geklärt.

Im Streitfall kann die jeweilige Schiedsstelle angerufen werden. Eine Ausnahme gilt für ambulante Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, die nach § 77 SGB VIII vereinbart sind. Hier bleibt im Streitfall nur der Weg der Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, auch die Leistungsvereinbarung anzupassen, ist in der Regel § 59 SGB X einschlägig. Die o.g. Vorschriften erfassen lediglich die Vergütungsvereinbarung.

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