Autismus-Therapie ist Eingliederungshilfe

Autismus-Therapie wird in der Praxis oft nicht als eine Leistung der Eingliederungshilfe anerkannt. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat jetzt entschieden, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII auch Autismus-Therapie umfassen (Urteil vom 28.11.2019, L 8 SO 240/18). Im konkreten Fall war Autismus-Therapie Teil der Leistungen, die einer angemessenen Schulbildung dienen. Diese Leistungen wurden nach dem bisherigen Recht der sozialhilferechtlichen Recht Eingliederungshilfe ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen erbracht (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII alte Fassung). Das LSG führt in der Urteilsbegründung aus, dass es nicht darauf ankommt, ob die leistungsberechtigte Person weitere Leistungen für den Schulbesuch erhält. Es spielt auch keine Rolle, ob die Autismus-Therapie außerhalb der Schule und außerhalb der Unterrichtszeiten erbracht wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die Hilfe „geeignet und erforderlich ist, […] den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu erleichtern“. Damit ist zweitinstanzlich anerkannt, dass Autismus-Therapie eine Leistung der Eingliederungshilfe ist – eine Auffassung, der viele Sozialhilfeträger bislang entgegengetreten sind.

Das Recht der Eingliederungshilfe wurde zum 1.1.2020 umfassend reformiert. An die Stelle der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe trat mit dem Beginn dieses Jahres das neue Recht der Eingliederungshilfe nach dem 2. Teil des SGB IX, der durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) geschaffen wurde. Leistungen, die einer angemessenen Schulbildung dienen, sind setzt Gegenstand der durch das BTHG neu geschaffenen Leistungsgruppe 4 – Leistungen zur Teilhabe an Bildung – (§ 5 Nr. 4 SGB IX). Diese Leistungen werden im Ausführungsgesetz (SGB IX 1. Teil) durch § 75 SGB IX und für die Eingliederungshilfe im Leistungsgesetz (SGB IX 2. Teil) durch § 112 SGB IX normiert. Wie die Leistungen nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII aF werden sie unabhängig von Einkommen und Vermögen erbracht, soweit sie der Schulbildung dienen.

Das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen ist auf die neue Rechtslage übertragbar. Autismus-Therapie gehört damit zu den Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach § 112 SGB IX. Da Autismus-Therapie nicht nur geeignet ist, zum Erfolg des Schulbesuchs beizutragen, sondern auch die Teilhabe am sozialen Leben unterstützen kann, folgt aus dem Urteil zugleich, dass Autismus-Therapie eine Leistung der Leistungsgruppe 5 – Leistungen zur sozialen Teilhabe – sein kann.

Für die Träger der Eingliederungshilfe folgt aus dem Urteil, dass sie aus dem Sicherstellungsauftrag aus § 17 SGB I in Verbindung mit § 95 SGB IX verpflichtet sind, mit geeigneten Leistungserbringern Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen über Autismus-Therapie zu schließen. Umgekehrt haben Leistungserbringer, die Autismus-Therapie anbieten, einen Anspruch gegen die Träger der Eingliederungshilfe auf Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung. Der Anspruch ist seit dem 1.1.2020 im Schiedsstellenverfahren nach § 126 Abs. 2 SGB IX durchsetzbar.

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