Übertragung der Rechtsprechung des BSG und des BGH zum Sachleistungsverschaffungsprinzip aus der Sozialhilfe auf das Recht der Kinder- und Jugendhilfe

Das OLG München und der VGH München haben die Rechtsprechung des BSG zum sogenannten „Sachleistungsverschaffungsprinzip“ in der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe auf das Recht der Kinder- und Jugendhilfe übertragen.

Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, die in einer Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung nach § 78b SGB VIII vereinbart sind, werden danach als Sachleistungen (nicht als Geldleistungen) bewilligt. Sie werden durch einen Leistungserbringer erbracht. Das Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und leistungsberechtigter Person ist ein zivilrechtlicher Dienstleistungsvertrag. Aus diesem schuldet der Leistungserbringer der leistungsberechtigten Person eine Leistung, die durch die Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung definiert wird. Das zivilrechtliche Verhältnis ist durch die öffentlich-rechtliche Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung determiniert.

Die leistungsberechtigte Person schuldet dem Leistungserbringer aus dem zivilrechtlichen Dienstvertrag das Entgelt, das dieser mit dem Jugendamt in der Vergütungsvereinbarung vereinbart hat. Mit dem Bewilligungsbescheid tritt das Jugendamt der Schuld der leistungsberechtigten Person bei (Schuldbeitritt). Die Gerichte folgern daraus, dass das Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungserbringer und dem Jugendamt, aus dem dieses dem Leistungserbringer die Vergütung schuldet, ebenfalls ein zivilrechtliches sei (was man durchaus bezweifeln kann, weil dieses Rechtsverhältnis nahezu vollständig durch öffentlich-rechtliche Verträge determiniert wird). Das entspricht den Urteilen des BSG vom 28.10.2008 (B 8 SO 22/07 R) und des BGH vom 31.3.2016 (III ZR 267/15) zu Leistungen der Sozialhilfe.

Im Fall, den das OLG München entschieden hat (Urteil vom 5.12.2019, 32 U 2067/19), hatte da Jugendamt den Leistungserbringer zunächst vor dem VG auf Erstattung eines Teils der Vergütung verklagt, weil der Leistungserbringer (wohl unstreitig) deutlich weniger Personal eingesetzt hatte, als das in der Leistungsvereinbarung vereinbart war. Das VG verwies das Verfahren an das LG, weil es sich um einen zivilrechtlichen Streit handele. Das Jugendamt legte gegen dieses Beschluss Beschwerde ein, die vom VGH München zurückgewiesen wurde (Beschluss 19.6.2018, 12 C 18.313). Der VGH bestätigte die Auffassung des VG in Bezug auf die Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Zivilrecht. Das LG wies die Klage ab. Das OLG München bestätigte diese Entscheidung mit dem o.g. Urteil und ließ die Revision zum BGH zu.

Die Klageabweisung wird vor allem damit begründet, dass dem Jugendamt nicht die vertraglichen Ansprüche der leistungsberechtigten Person zustünden, da es deren Schuld lediglich betrete. Daher komme es nicht darauf an, ob der leistungsberechtigten Person z.B. Ansprüche aus dem Leistungsstörungsrecht nach §§ 280 ff. BGB erwachsen. Das OLG führt aus:

„Aufgrund des Schuldbeitritts wird der Beitretende gleichrangiger Schuldner mit dem Erstschuldner und haftet mit diesem als Gesamtschuldner (§ 421 BGB), ohne die (vertraglichen) Rechte des Erstschuldners zu haben. Die Schuld des Beitretenden entspricht inhaltlich der Erstschuld, der beigetreten wird, im Zeitpunkt des Beitritts. Der Schuldbeitritt ist daher wirkungslos, wenn die Erstschuld nicht besteht oder durch Anfechtung ex tunc entfällt (Staudinger/Horn (2012) Vorbemerkungen zu §§ 765–778 BGB Rn. 415). Daraus folgt, dass die Klägerin keine eigenen Gewährleistungsansprüche aus den Dienstverträgen geltend machen kann.“ (Rn 100)

Ein Rückforderungsanspruch des Jugendamtes kann nach der Entscheidung nur dann entstehen, wenn die Schuld rückwirkend entfällt. Dann wird die Zahlung der Vergütung zu einer rechtsgrundlosen Leistung, deren Erstattung das Jugendamt vom Leistungserbringer nach § 812 BGB fordern kann (Leistungskondiktion). Das OLG hat die Frage, ob aus vermindertem Personaleinsatz ein solcher Anspruch erwachsen kann, im Ergebnis offen gelassen. Auch die Frage, ob deliktische Ansprüche bestehen können, wurde offen gelassen (Rn 103).

Wenn man die Rechtsprechung des BGH zu Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII verfolgt hat, ist diese Entwicklung keine Überraschung. Für die Kinder- und Jugendhilfe ist dieses Verständnis der Rechtsverhältnisse im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis gleichwohl neu.

Die Bedeutung der Entscheidung des OLG München reicht weit über die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Leistungserbringer der Kinder- und Jugendhilfe einen Teil der Vergütung erstatten muss, wenn er nicht das Personal einsetzt, das einzusetzen er sich in der Leistungsvereinbarung verpflichtet hat, hinaus. Nicht zuletzt schwächt sie auch umgekehrt die Rechtsposition der Leistungserbringer gegenüber dem Jugendamt, wenn umstritten ist, ob und in welcher Höhe das Jugendamt eine Leistung vergüten muss.

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