Umstellung der WBVG-Verträge für bisherige stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe und „Barbetrag“ ab 1.1.2020

Was bleibt den Bewohnern in bisherigen stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe vom Regelssatz?

Kurz vor Inkrafttreten der sog. 3. Reformstufe des Bundesteilhebegesetzes (BTHG) wird die Frage intensiv diskutiert, ob die bisherigen stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe von den Leistungsberechtigten verlangen können, dass sie den größten Teil des Regelsatzes an die Einrichtung abführen. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nicht aus dem Sozialhilferecht oder dem Recht der Eingliederungshilfe, sondern aus dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG).

Zum 1.1.2020 tritt das bisherige Recht der Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII) außer Kraft und wird durch das neue Recht der Eingliederungshilfe im zweiten Teil des SGB IX (§ 90 bis 150 SGB IX) ersetzt. Damit gilt ab 1.1.2020 die sogenannte Trennung der Leistungen. Das heißt: Der Träger der Eingliederungshilfe ist nur noch für die Fachleistungen zuständig. Die Kosten des Lebensunterhalts, die bislang Teil der vollstationären Leistungen waren, werden nicht mehr vom Träger der Eingliederungshilfe übernommen. Wer diese Kosten nicht zB als Rentner selbst decken kann, muss dafür in der Regel Sozialhilfe in Anspruch nehmen.

Störung der Geschäftsgrundlage der WBVG-Verträge

Diese Änderung entzieht den meisten Verträgen nach dem WBVG die Geschäftsgrundlage. WBVG-Verträge können nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen gekündigt werden (§ 12 WBVG). Das Inkrafttreten des neuen Rechts der Eingliederungshilfe, das durch das BTHG geschaffen wurde, ist kein Kündigungsgrund. Das Inkrafttreten ist aber ein Fall der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). In einem solchen Fall können beide Vertragspartner vom anderen Vertragspartner verlangen, dass dieser einer Änderung des Vertrags zustimmt (§ 313 Abs. 1 BGB). Viele stationäre Einrichtungen übersenden ihren Bewohnerinnen und Bewohnern erst jetzt und damit extrem spät geänderte Vertragsangebote. Die Betroffenen und Betreuerinnen und Betreuer fragen sich, ob sie diese Verträge auch dann unterschreiben müssen, wenn den Bewohnerinnen und Bewohner vom Regelsatz, der ab 2020 389 € beträgt (Stufe 2), nur ein Anteil von 100 bis 200 € verbleibt (was offenbar der Regelfall ist).

Die Einrichtungsträger berufen sich dabei auf „Übergangsregelungen“, an die sie gebunden seien. Damit sind die Rahmenverträge nach § 131 SGB IX gemeint, die auf Landesebene geschlossen werden und die tatsächlich entsprechende Regelungen enthalten. Die Rahmenverträge sind aber keine Normenverträge. Rechtlich binden sie nur die Vertragspartner im Verhältnis zueinander. Die allermeisten Einrichtungsträger sind nicht Vertragspartner der Rahmenverträge. Gegenüber den Leistungsberechtigten entfalten die Rahmenverträge keinerlei Bindungswirkung. Sie sind insbesondere nicht Geschäftsgrundlage der WBVG-Verträge. Zu den Geschäftsgrundlagen gehört lediglich das Recht der Eingliederungshilfe, das sich zum 1.1.2020 grundlegend ändert. Das neue Recht erfordert mindestens, dass die WBVG-Verträge zwischen Fachleistungen, Zurverfügungstellung der Unterkunft und der Lieferung von Lebensmitteln und Hygieneartikeln wie Toilettenpapier unterscheiden. Entsprechend sind mindestens drei Teilentgelte auszuweisen, die auf die (mindestens) drei Teilleistungen zu beziehen sind.

Maßgeblich ist § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG

§ 7 Abs. 2 S. 1 WBVG regelt, dass der Verbraucher (= Bewohner) das Entgelt nur schuldet, wenn es sowohl insgesamt, als auch nach seinen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen angemessen ist. § 16 WBVG regelt darüber hinaus, dass Regelungen im WBVG-Vertrag, die zu Lasten des Verbrauchers von den Vorschriften des WBVG abweichen, nichtig sind. Für die Vertragsänderung heißt das: Die Träger der Einrichtungen dürfen für Lebensmittel und Hygieneartikel nur ein Entgelt in Rechnung stellen, das den Anschaffungskosten entspricht. Ein zurückhaltend zu berechnender Zuschlag (kaum mehr als 1,5 %) für das unternehmerische Risiko wird auf diese Kosten aufzuschlagen sein (vgl. BSG, 26.9.2019, B 3 P 1/18 R), mehr aber nicht.

Im Zuge der Umstellung der WBVG-Verträge müssen die Einrichtungsträger darlegen, dass ihnen für Lebensmittel und Hygieneartikel Kosten entstehen, die das Entgelt, das sie für diese Teilleistung fordern, angemessen im Sinne von § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG erscheinen lassen. Können sie das nicht, besteht auf Seiten des Verbrauchers kein Grund, das Angebot der Änderung des WBVG-Vertrages anzunehmen. Haben sie einen solchen Vertrag bereits überschrieben, ändert auch das nichts. Denn wenn das Teilentgelt für Lebensmittel und Hygieneartikel sich als nicht angemessen im Verhältnis zur Leistung erweist, ist der WBVG-Vertrag insoweit nichtig. Der Verbraucher muss das Entgelt insoweit nicht bezahlen. Selbst wenn der Verbraucher das Entgelt bereits bezahlt hat, ändert das nichts. In diesem Fall handelt es sich insoweit um eine rechtsgrundllose Zahlung, die der Verbraucher nach § 812 BGB vom Träger der Einrichtung zurückverlangen kann. Er kann überzahlte Beträge auch einfach gegen neue Forderungen aufrechnen (§§ 387 ff. BGB).

Der Träger der Einrichtung wird sich in einem solchen Fall nicht darauf berufen können, dass er mit dem Träger der Eingliederungshilfe Verträge geschlossen hat, die den Betrag, den er vom Verbraucher fordert, vorsehen. Solche Verträge wären Verträge zu Lasten Dritter und insoweit unwirksam. Die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen (§ 125 SGB IX), die der Träger Einrichtung mit dem Träger der Eingliederungshilfe schließt, sind zwar Normenverträge, die sich grundsätzlich zu Lasten Dritter auswirken können. Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass dieser Normenverträge geht aber nicht so weit, dass die Vertragspartner der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung befugt wären, das Entgelt für die Lieferung von Lebensmitteln und Hygieneartikeln zu determinieren.

Hohes Risiko für Leistungserbringer

Daher gehen Leistungserbringer ein hohes Risiko ein, wenn sie WBVG-Verträge, die im Übrigen in aller Regel Formularverträge sind und daher auch der Inhaltskontrolle des AGB-Rechts der §§ 305 ff. BGB unterliegen, schließen, die für einzelne Teilleistungen ein Entgelt vorsehen, von dem sie nicht darlegen können, dass es angemessen in Sinne von § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG ist. Es kann passieren, dass die Leistungsberechtigten deutlich weniger bezahlen, als die Leistungserbringer das vorgesehen haben. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sie diesen Verlust durch Nachforderungen gegen die Träger der Eingliederungshilfe ausgleichen können, denn das würde eine „unvorhergesehene wesentliche Änderung der Annahmen“, die der Vergütungsvereinbarung zugrunde liegen, voraussetzen (§ 127 Abs. 3 SGB IX). Ob in der Tatsache, dass Leistungsberechtigte sich auf ihr Rechte aus § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG berufen, als unvorhergesehene Änderung in diesem Sinne akzeptiert werden wird, ist fraglich.

Was können Leistungsberechtigte tun?

Die praktische Möglichkeit der Leistungsberechtigten, sich gegen ein zu hohes Teilentgelt zu wehren, liegt darin, das Entgelt nicht zu bezahlen, soweit es unangemessen ist. Wenn der Leistungserbringer die Beschaffungskosten nicht offenlegt, kann die leistungsberechtigte Person die Kosten z.B. anhand des Betrages, der im Regelsatz kalkulatorisch für Lebensmittel berücksichtigt ist (rund 150 € monatlich), schätzen. Spätestens dann, wenn der Leistungserbringer den von ihm geforderten Betrag vor Gericht durchsetzen will, wird er seine Kosten offenlegen müssen, denn dann ist er beweisbelastet.

Sollten Leistungsberechtigte ihren Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe an den Einrichtungsträger abgetreten haben, ist das unschädlich, denn der Abtretungsvertrag (§ 398 BGB) wäre wegen des Abtretungsverbotes aus § 17 Abs. 1 S. 2 SGB XII immer nichtig (§ 134 BGB). Ohne einen Vertrag kommt eine Abtretung gar nicht erst zustande. Hat der Leistungsberechtigte den Sozialhilfeträger lediglich angewiesen, seine Sozialhilfe auf ein Konto des Leistungserbringers zu überweisen, kann er das jederzeit für die Zukunft widerrufen und dann aufrechnen.

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