Eilantrag im Sozialrecht

Zuletzt bearbeitet 2.3.2021

Ein gerichtliches Verfahren braucht seine Zeit. Im Sozialrecht muss meistens ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden, bevor es überhaupt zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Manche Dinge können aber nicht warten, weil sonst eine Notlage eintritt. Wenn jemand zum Beispiel Grundsicherungsleistungen beantragt und gar kein Geld mehr hat, kann er nicht drei Monate warten, bevor über seinen Antrag entschieden wird. Erst recht kann er nicht anderthalb Jahre warten, bis über seine Klage entschieden wird. Für solche Fälle besteht die Möglichkeit, beim Sozialgericht eine "einstweilige Anordnung" zu beantragen. Das ist so etwas wie eine vorläufige Entscheidung des Gerichts: Wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung erlässt, muss die Behörde erst einmal tun, was das Gericht entschieden hat. Eine solche Anordnung kann befristet sein. Sie gilt längstens bis zur Entscheidung "in der Hauptsache". Das bedeutet, dass sie maximal so lange gilt, bis das normale Verfahren (meistens Widerspruch und Klage) rechtskräftig abgeschlossen ist.

Voraussetzung dafür, dass ein Eilantrag Erfolg haben kann, ist die Eilbedürftigkeit, die juristisch als "Anordnungsgrund" bezeichnet wird. Das Landessozialgericht München hat die Voraussetzungen dafür, dass ein Antrag als eilbedürftig gilt, in einer lehrbuchartigen Entscheidung zusammengefasst: LSG München, 28.1.2019, L 18 SO 320/18 B ER.

Eine Präsentation zum Thema Eilverfahren mit einer Darstellung des Prüfschemas nach der Entscheidung des LSG München vom 28.1.2019 finden Sie hier: Präsentation Eilverfahren.

Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Arten von einstweiligen Anordnungen: Das Gericht kann anordnen, dass ein Widerspruch oder eine Klage aufschiebende Wirkung hat (§ 86b Abs. 1 SGG). Eine solche Anordnung ist normalerweise nur dann notwendig, wenn der Widerspruch nicht bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung entfaltet. Die aufschiebende Wirkung ist im Sozialrecht der Regelfall (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG). Trotzdem wird sie oft nicht beachtet. Vor allem die Sozialhilfeträger beachten § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG oft nicht. Außerdem gibt es eine Reihe von Ausnahmen, zum Beispiel im SGB II – „Hartz IV“ – (§ 39 SGB II).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nur möglich, wenn sie überhaupt etwas nützt. Das ist nur dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt, der mit einem Widerspruch (oder einer Klage) angefochten wurde, in eine bestehende Rechtsposition eingreift. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, kann das Gericht die Behörde mit der einstweiligen Anordnung zu einer Leistung verpflichten (§ 86b Abs. 2 SGG).

Beispiel 1: Das Jobcenter bewilligt Arbeitslosengeld II für Januar bis Juni 2015. Am 7.1.2015 erlässt das Jobcenter einen Sanktionsbescheid für Februar bis April 2015. Dieser Bescheid greift in die Rechtsposition aus dem Bewilligungsbescheid ein. Der Widerspruch hat wegen § 39 SGB II aber keine aufschiebende Wirkung. In diesem Fall kann beim Sozialgericht beantragt werden, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruches angeordnet wird. Natürlich muss vorher Widerspruch eingelegt werden.

Beispiel 2: Auf den Antrag auf Grundsicherung nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) ergeht ein ablehnender Bescheid, gegen den Widerspruch eingelegt wird. Der Widerspruch hat zwar aufschiebende Wirkung. Das nützt aber nichts, denn es gab zuvor keinen Bewilligungsbescheid. In diesem Fall kann beim Sozialgericht beantragt werden, dass die Behörde durch einstweilige Anordnung verpflichtet wird, vorläufig sofort Sozialhilfe zu bewilligen. Auch hier ist es notwendig, zunächst Widerspruch einzulegen.

Wenn man ohne anwaltliche Hilfe eine einstweilige Anordnung beantragt, ist es nicht schlimm, wenn man nicht ganz genau den richtigen Antrag stellt, denn im sozialgerichtlichen Verfahren gilt der Meistbegünstigungsgrundsatz (vgl. § 2 Abs. 2 SGB I). Anträge und Erklärungen sind so auszulegen, dass der Antragsteller damit das bewirkt, was er in erkennbarer Weise bewirken will. Außerdem gilt auch hier der Grundsatz, dass die falsche Bezeichnung nicht schadet [falsa demonstratio non nocet].

Der Eilantrag ist zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens zulässig. Er kann auch mehrfach gestellt werden. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass ohne einstweilige Anordnung eine Notlage droht. Man kann auch sagen, dass "Gefahr im Verzug" ist. Juristisch wird diese Voraussetzung als "Anordnungsgrund" bezeichnet.

Der Eilantrag kann schriftlich gestellt werden. Es ist auch möglich, ihn beim Sozialgericht "zur Niederschrift" zu stellen. Das heißt, dass man zum Sozialgericht gehen und dort den Antrag persönlich stellen kann. Telefonisch kann der Antrag aber nicht gestellt werden.

Für die Leistungen, die Menschen mit einer Behinderung brauchen (Teilhabeleistungen, § 4 SGB IX), gelten besondere Fristen im Verwaltungsverfahren. Erläuterungen zu diesen Fristen, zum besonderen Verfahren der Reha-Träger, zur Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX und zur Selbstbeschaffung nach § 18 Abs. 6 SGB IX finden Sie hier.